INTERVIEWREIHE GLOBAL OPERATIONS FOOTPRINT

Produktionsstandort USA – Christian Köstler, DEHN

Die Interviewreihe »Global Operations Footprint« beleuchtet die vielfältigen Facetten globaler Produktionsnetzwerke – von Standortstrategien und Lieferkettenarchitekturen bis hin zu Resilienz, Digitalisierung und Führungsfragen. Im Mittelpunkt stehen die Erfahrungen und Perspektiven profilierter Führungskräfte aus Industrie und Wissenschaft, die Einblicke in ihre strategischen Überlegungen und praktischen Entscheidungsprozesse geben.​

Mit der Interviewreihe möchten wir jeweils ein Thema durch persönliche Erfahrungen, Einschätzungen und praxisbewährte Vorgehensweisen greifbar zu machen. Unsere Gesprächspartner zeigen, wie Unternehmen ihre weltweiten Wertschöpfungsstrukturen gestalten, welche Prinzipien sie leiten – und wie sich globale Netzwerke unter dem Druck technologischer, geopolitischer und marktwirtschaftlicher Veränderungen weiterentwickeln.​

Im Gespräch mit Christian Köstler geht es um die USA: ihre strategische Rolle im globalen Produktionsfootprint, Standortwahl und Lieferkettengestaltung sowie den Aufbau und Betrieb von Produktionswerken in den USA.

Portrait von Christian Köstler, Chief Operating Officer (COO) der DEHN SE

Zur Person: Christian Köstler

DEHN SE, Neumarkt i.d. Oberpfalz

Christian Köstler ist Chief Operating Officer (COO) der DEHN SE mit Sitz in Neumarkt in der Oberpfalz. Er studierte Maschinenbau in München und erwarb anschließend einen MBA in den USA. Von 2000 bis 2015 war er in verschiedenen Führungspositionen bei der STIHL AG tätig, die längste Zeit davon in den USA. Parallel engagierte sich Christian Köstler mehrere Jahre im Board einer regionalen US-Wirtschaftsförderung. 

Seit seinem Eintritt in die DEHN SE im Jahr 2016 leitet er als COO sämtliche globalen Operations-Teams. Unter seiner Führung erweitert die DEHN SE aktuell ihren globalen Operations Footprint mit neuen Produktionswerken in Deutschland, Rumänien und in den USA. 

Die strategische Rolle der USA im globalen Footprint   

Wie hat sich aus Ihrer Sicht die strategische Bedeutung der USA für global produzierende Unternehmen in den letzten Jahren verändert?

Die USA waren schon immer ein zentraler Markt – aber ihre strategische Relevanz hat in den letzten Jahren weiter zugenommen. Nicht nur wegen ihrer Größe, sondern weil sie ein homogener Markt mit einheitlicher Sprache, Währung und hoher Kaufkraft sind. Wer dort ernsthaft präsent sein will, muss lokalisieren – idealerweise mit eigener Produktion. Das wird nicht nur vom Markt honoriert, sondern auch von der Politik aktiv gefördert. Wenn ich die USA mit einem Begriff beschreiben müsste, dann mit „Convenience“ – und genau das bieten sie auch investierenden Unternehmen.​ 

Was hat für Sie persönlich den Ausschlag gegeben, DEHN strategisch stärker in Richtung USA auszurichten, und welche Rolle spielt der US-Markt heute im Produktionsverbund von DEHN? 

Der Einstieg erfolgte über eine Akquisition – konkret durch einen Carve-Out von Teilen des Überspannungsschutzgeschäfts von ABB. Das war für uns ein echter Katalysator. Wir hatten Schwierigkeiten mit europäischen Produkten im US-Markt Fuß zu fassen. Durch die Akquisition haben wir nun nicht nur direkten Marktzugang, sondern können auch unser zwischenzeitlich an den amerikanischen Markt angepasstes DEHN-Portfolio, das komplementär zu unseren neuen ABB-Produkten ist, über etablierte Vertriebskanäle anbieten.  

Heute ist unser US-Standort ein wichtiger Baustein im Sinne „für den Markt im Markt“. Produktion schafft Akzeptanz, schafft Vertrauen. Sie zeigt unseren Kunden in den Vereinigten Staaten: Wir meinen es ernst. 

Die USA waren schon immer von zentraler Bedeutung, weil sie ein homogener Markt mit einheitlicher Sprache, Währung und hoher Kaufkraft sind. 

Christian Köstler, Chief Operating Officer der DEHN SE

Wie bewerten Sie die Relevanz industriepolitischer Impulse aus den USA (z. B. IRA, CHIPS Act) für deutsche Industrieunternehmen?  

Wer denkt, man bekommt in den USA eine Fabrik geschenkt, wird enttäuscht. Aber wer seriös vorhat, langfristig zu investieren, findet klare Strukturen und schnelle Prozesse. Für uns ist der CHIPS Act wenn überhaupt indirekt relevant – aber das heißt nicht, dass die Programme insgesamt keine Wirkung entfalten. Wenn daraus neue Gebäude, Fabriken etc. entstehen sind das im Umkehrschluss potenzielle Kunden für unsere Blitz- und Überspannungsschutzprodukte. In Summe sind aber vor allem die regionalen und lokalen Förderprogramme entscheidend. Wichtig für interessierte Unternehmen ist, das eigene Investitionsprofil genau zu kennen – vom Energiebedarf bis zum Arbeitskräfteangebot. In vielen Regionen gibt es spezialisierte Förderprogramme, die gezielt mittelständische Investoren ansprechen.  

Gibt es strategische Unterschiede im Footprint-Design deutscher Konzerne vs. mittelständischer Hidden Champions in den USA? 

Ich sehe eher Unterschiede im Vorgehen als in der Strategie. Mittelständler tun sich in der Regel leichter mit dem amerikanischen Pragmatismus – vorausgesetzt, sie delegieren die Entscheidungskompetenz an das Management vor Ort. Das wird dort erwartet. Wirtschaftsförderer schätzen es, wenn lokale Geschäftsführer frei entscheiden können.  

Großkonzerne hingegen agieren oft über verschiedene Business Units, die nebeneinander bestehen. Da gibt es dann nicht „den“ US-Footprint, sondern mehrere – zum Teil ohne Berührungspunkte. Der Mittelstand denkt oft integrierter und bündelt seine Aktivitäten stärker. 

Standortwahl und Lieferkettendesign   

Welche Kriterien waren für Sie bei DEHN, aber auch in der Vergangenheit bei der Wahl eines konkreten US-Standorts entscheidend – und was würden Sie heute anders machen?

Entscheidend war ein ausgewogener Mix aus logistischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren: Nähe zu einem Seehafen, gut angebundenes Highway- und Bahnnetz, Verfügbarkeit von Arbeitskräften und möglichst kurze Zeitverschiebung nach Deutschland. Wir wollten zudem nicht in einer anonymen Metropolregion landen, sondern an einem Ort, wo man Bürgermeister und Entscheider persönlich kennt. Gleichzeitig war uns wichtig, in einer Region mit stabiler Demografie zu investieren – also dort, wo Zuzug statt Abwanderung herrscht. 

Und noch eine US-Besonderheit spielte eine Rolle: Wir wollten in einen sogenannten „Right to Work State“, der ein arbeitgeberfreundliches Umfeld bietet und in dem Gewerkschaftsbindung keine Voraussetzung für Beschäftigung ist. Rückblickend war dieser Gesamtansatz absolut richtig. 

Konkret gefragt: Wie wichtig ist das Thema Lieferfähigkeit auf dem US-Markt?  

Lieferfähigkeit ist ein zentrales Differenzierungsmerkmal – nicht selten sogar kaufentscheidend. Die Erwartungshaltung ist stark von Amazon & Co. geprägt: Der US-Kunde denkt in Lieferzeit und Verfügbarkeit. Wer zuverlässig und schnell liefern kann, verschafft sich einen echten Wettbewerbsvorteil. In einem Land dieser Größe ist das nur mit einem durchdachten Distributionsnetz möglich – nicht zwingend durch mehrere Werke, aber durch regionale Lager und Vertriebsstützpunkte.  

Oder kurz gesagt: In den USA zählen Geschwindigkeit, Erreichbarkeit und Reaktionsfähigkeit oft mehr als der reine Preis. Der Markt legt großen Wert auf einfache Prozesse und zuverlässige Verfügbarkeit. 

Wie wichtig können Subventionen für ein großes, mittelständisch geprägtes Unternehmen wie DEHN sein?   

In den USA gibt es ein vielschichtiges System an Fördermöglichkeiten – von der Stadt über das County bis hin zum Bundesstaat. Entscheidend ist, welche der verfügbaren Subventionen zum eigenen Vorhaben passen. Manche Regionen bieten günstige Grundstücke, andere zahlen pro geschaffenem Arbeitsplatz oder fördern Ausbildungsvorhaben mit konkreten Budgets. In North Carolina etwa werden Fondsmittel aus der früheren Tabakindustrie genutzt, um neue Industrien anzusiedeln. In Florida finanziert sich ein solcher Fond mit den Ausgleichszahlungen aus dem BP-Ölplattform-Desaster. 

Wichtig ist, diese Programme nicht isoliert zu betrachten. Sie sind selten der ausschlaggebende Grund für eine Standortentscheidung. Für uns waren die Subventionen ein willkommener Baustein, aber nicht der Haupttreiber. 

Welche Faktoren entscheiden aus Ihrer Sicht darüber, ob eine regionale Wirtschaftsförderung in den USA für ein Industrieunternehmen tatsächlich zum Erfolgsfaktor wird? 

Wirtschaftsförderer suchen Investitionen und Arbeitsplätze. Besonders geschätzt werden Unternehmen, die gut bezahlte Blue-Collar-Jobs schaffen. Deutsche Mittelständler mit dualem Ausbildungshintergrund sind da sehr willkommen. Wichtig ist aber: Vor Ort hingehen, sich die Community Colleges ansehen, mit Verantwortlichen sprechen. Wenn man dort auf ein funktionierendes Netzwerk trifft, das Ausbildung, Integration und Zusammenarbeit ernst meint – dann kann das ein echter Erfolgsfaktor werden. Und nicht zu vergessen: die Dynamik der Region. Ohne Zuzug keine Zukunft.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der lokalen Lieferantensuche und dem Aufbau belastbarer Netzwerke in den USA gemacht?

Die USA bieten gute Datentransparenz – von Branchenverzeichnissen bis hin zu Tools wie dem Bloomberg Terminal. Aber: Qualität und Tiefe der Lieferkette variieren stark nach Branche. Was im Automotive-Bereich gut verfügbar ist – etwa Metallbearbeitung oder Stanztechnik – ist in Nischenindustrien oft Mangelware. Viele deutsche Unternehmen gehen deshalb in eine höhere vertikale Integration. Der strategische Einkauf ist in den USA oft nicht so ausgeprägt wie in Europa – dafür pragmatischer. Wer langfristig denkt, braucht entweder starke Partner oder eine eigene Fertigungstiefe.   

Aufbau und Betrieb von Werken in den USA    

Was sind aus Ihrer Sicht die größten operativen Unterschiede beim Aufbau eines Werks in den USA im Vergleich zu Deutschland?  

Der auffälligste Unterschied liegt im Projektansatz: Während wir in Deutschland sehr detailliert und oft auf 120% vorausplanen, ist der Ansatz in den USA stärker durch Pragmatismus geprägt. 80% reichen – der Rest wird im laufenden Betrieb justiert, auch wenn der Tag dadurch mal länger dauert als zehn Stunden. Das bedeutet schnellere Sprints, aber auch häufigere Kurskorrekturen. Entscheidend ist, vor Ort präsent zu sein und regelmäßig zu prüfen, ob Maßnahmen tatsächlich nachhaltig umgesetzt wurden.  

Wie unterscheiden sich die Arbeitskultur, das Führungsverständnis oder auch der Umgang mit Gewerkschaften in der Praxis?  

Die USA wirken auf den ersten Blick kulturell nah – sind es aber im Arbeitsalltag oft nicht. Die Führung ist dort persönlicher und emotionaler. Ein eher technokratischer Stil wird schnell als kalt und unnahbar empfunden. Nähe, Empathie und auch ein Schwank aus dem Privatleben gehören dazu.  

Gewerkschaften spielen in den USA eine andere Rolle, denn es gibt kein Betriebsverfassungsgesetz wie bei uns. Das Verhältnis ist konfrontativer.   

Wie beurteilen Sie heute die Rolle von Automatisierung in US-Werken – auch mit Blick auf Fachkräftemangel und Skalierbarkeit?   

Automatisierung ist ein Schlüssel – aber sie muss pragmatisch gedacht werden. Mein Grundsatz lautet: Erst Prozesse vereinfachen und stabilisieren, dann automatisieren. Keine Sondermaschinen-Exzesse, keine hochkomplexen Unikate. Was in Deutschland vielleicht funktioniert, scheitert in den USA oft an fehlendem Personal für Wartung und Programmierung. Automatisierung muss robust und intuitiv bedienbar sein – im Zweifel auch durch ungelernte Kräfte. Wenn das gelingt, schafft man eine höhere Anlagenverfügbarkeit als in hochspezialisierten deutschen Umgebungen. Keep it simple – das ist keine Reduktion, sondern eine strategische Anpassung an die Realität vor Ort. 

Was würden Sie Unternehmen raten, die heute vor der Entscheidung stehen, ein Werk in den USA zu bauen? 

Ganz klar: Es ernsthaft anzugehen – und mit den besten Leuten. Wer denkt, das läuft nebenher aus Europa mit, wird scheitern. Die neuen geopolitischen Realitäten machen es notwendig, Produktion näher an den Markt zu bringen. Wer diesen Schritt macht, sollte ihn konsequent und professionell gehen.

Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste persönliche Erkenntnis aus Ihrer jahrzehntelangen Erfahrung mit industriellen Projekten in den USA?

Man darf nicht dem Irrtum aufsitzen, dass Ähnlichkeit auch Gleichheit bedeutet. Die USA sind uns kulturell näher als viele andere Regionen – und dennoch in vielen Punkten grundlegend anders. Wer glaubt, Englisch sprechen reiche aus, wird schnell an impliziten Erwartungen scheitern.  

Die wichtigste Erkenntnis: aufeinander zugehen, zuhören, verstehen. Und: nicht mit deutscher Brille auf amerikanische Prozesse schauen. Wer das schafft, kann aus beiden Welten das Beste verbinden – den planerischen Anspruch Europas mit dem pragmatischen Drive der USA. Für mich ist Amerika auf diese Weise persönlich und beruflich meine zweite Heimat geworden.    

Portrait von Geschaeftsfuehrer aus Hamburg, Kai Philipp Bauer

Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer

Senior Manager, Hamburg

Kai Philipp Bauer studierte Maschinenbau mit Schwerpunkt Produktionstechnik und ist seit über 15 Jahren in der Beratung tätig. Er berät seine Klienten insbesondere in Fragen der Strategieentwicklung, des Operations Managements und der digitalen Transformation.

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